Reframing Migration: Kooperation statt Konkurrenz

Rechte Parteien gewinnen weltweit Wahlen mit nur einem Narrativ: Migrant:innen sind eine existenzielle Bedrohung. Auch wenn das Narrativ extrem schädlich ist, gibt es eine gute Nachricht: Die Ein-Narrativ-Strategie macht es Demokrat:innen leicht, dagegen vorzugehen. Sie brauchen nur ein eigenes starkes Migrationsnarrativ.

Die Herausforderung: Konservative Knappheitserzählung

Eigentlich ist es egal, ob es um Migration, Arbeitslosigkeit, Rente, Klima oder Staatsausgaben geht: Konservative behaupten ständig, dass von allem zu wenig da ist. Das Leben sei deshalb ein Wettbewerb um Ressourcen.

Diese Erzählung ist wirksam, weil wir alle aus dem eigenen Leben wissen, dass Dinge nicht unbegrenzt verfügbar sind. Sie bewirkt, dass wir unsere Mitmenschen als Konkurrent:innen ansehen. Die Knappheitserzählung schafft es damit erfolgreich, dass die meisten Menschen mit konservativer Perspektive auf Migration blicken – und entsprechend wählen.

Rationale Argumente scheitern

Viele Gegenkampagnen adressieren deshalb materielle Bedürfnisse, z.B. die #AfDnee-Kampagne. Sie malt Zukunfts­szenarien, in denen Menschen die AfD gewählt haben und dadurch vor schlechter bezahlten Jobs, einem späteren Renteneintritt und weniger Kita-Plätzen stehen. Aber solche nutzenbezogenen Argumente konnten Wähler:innen rechter Parteien bislang kaum überzeugen. Vielen AfD-Wähler:innen geht es materiell nicht schlecht und sie leben in Gegenden mit wenigen Migrant:innen, müssten also keine Sorgen haben.

Progressive Reaktion: Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen

Konservative haben die öffentliche Debatte mit ihrer Knappheitserzählung fest im Griff. Progressive reagieren darauf defensiv. Sie sprechen davon, dass Menschen besorgt sind, weil eine Krise die nächste jage und die Dinge kompliziert seien. Progressive werden damit zum Spielball der konservativen Knappheitserzählung, die die Sorgen erst produziert hat. Sie geben sogar Geld für Umfragen aus, um sich die Wirkung des konservativen Framings bestätigen zu lassen. Daraufhin akzeptieren sie die öffentliche Meinung als gegebenen Zustand, mit dem sie arbeiten müssen.

Menschen wählen die AfD nicht aus einer besorgten Position heraus. Sie wählen sie aus Entschlossenheit. Sie wählen sie mit der Hoffnung auf Veränderung und Abrechnung. Progressive können genau so gut für Veränderung und Abrechnung mit vergangener Politik stehen. Hier sind drei Vorschläge, wie Progressive Migration reframen können:

1. Migration ist normal

Rechte Kräfte haben den Migrations­begriff mit Kriminalität und Chaos aufgeladen und dadurch Migration entnormalisiert. Progressive sollten Migration wieder zurücknormalisieren. Sie sollten ständig betonen, dass Migration völlig normal ist statt von „irregulärer Migration“ zu sprechen.

Denn Migration ist in einer globali­sierten Welt völlig normal. Wenn wohlhabende Deutsche ins Ausland gehen, um ihre Karriere voranzubringen, sich persönlich zu entfalten, eine Familie zu gründen oder sogar um Steuern zu sparen, spricht niemand von Migration. Aber wenn Menschen anderer Nationen das Gleiche tun, sind es „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Ein schönes Beispiel für eine Normalisierung ist die „People Move“-Kampagne von ASO Communications. Die Kampagne stellt Migration als etwas dar, das alle kennen und wahrscheinlich schon einmal erlebt haben: Von einem Ort zu einem anderen ziehen. Sie beschreibt, dass die meisten von uns das Notwendige tun würden, um ein besseres Leben zu führen. Sie macht die Entscheidung, das eigene Land zu verlassen, für alle nachvollziehbar.

2. Wir können das

In konservativer Kommunikation sind Staaten stark, wenn sie sich abschotten und nur noch um sich selbst kümmern. Progressive sollten das als Schwäche umdeuten und ihre Definition von Stärke anbieten: Ein Land wie Deutschland hat die Kraft, sich um sich selbst und andere zu kümmern.

Die Menschen in Deutschland haben immense Kapazitäten für Empathie, soziale Verantwortung und gegen­seitige Unterstützung. Politiker:innen sollten Bürger:innen diese Kapazitäten wieder zutrauen und die Voraus­setzungen dafür schaffen statt Deutschland als machtlos darzustellen.

Wenn die CDU davon spricht, dass Kommunen mit den vielen Geflüchteten überfordert sind und man Obergrenzen bräuchte, könnte diese progressive Erzählung von Kraft und Selbstwirk­samkeit zum Einsatz kommen. Dass sie Erfolgspotenzial hat, zeigte bereits Angela Merkels Spruch „Wir schaffen das“. Er wurde nicht nur international gefeiert, sondern hat in Deutschland progressive Ambitionen in der Bevölkerung hervorgerufen.

3. Zusammen erreichen wir mehr

Der Großteil der Politiker:innen und Mainstream-Medien stellen Migrant:innen als eine Belastung dar. In Debatten geht es meistens darum, mit welchen politischen Maßnahmen man die Belastung verringern kann. Progressive sollten diesem Framing einen Glaubenssatz entgegenstellen, den Teams schon lange verinnerlicht haben, egal ob beim Sport oder auf der Arbeit: Zusammen erreichen wir mehr als alleine.

Alles was angeblich knapp ist – Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit, Freiheit – wird mehr statt weniger, wenn mehr Menschen daran teilhaben und sich daran beteiligen. Migrant:innen bringen große Potenziale, Fähigkeiten und wertvolle Erfahrungen mit, die in Deutschland fehlen. Die angebliche Belastung ist eine große Chance bzw. Win-Win-Situation.

Wir sehen bereits Ansätze dieser Erzählung bei Diskussionen um Fachkräftemangel und demografischen Wandel. Aber Progressive müssen aufpassen, dass sie damit keine selektive Einwanderungspolitik vorantreiben, wie es das „Fachkräfte­einwanderungs­gesetz“ vermittelt (die „Ausgebildeten“ kommen rein, alle anderen müssen draußen bleiben). Ein positives Beispiel ist die Aussage „Let them work“ von Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), als sie sich für das Arbeitsrecht von Asylsuchenden einsetzt und sich damit für ihre Gleichberechtigung ausspricht.

Erzählungen von Empathie, Selbstwirksamkeit und Kooperation

Zusammengefasst sollten progressive Migrationsnarrative drei Merkmale erfüllen:

  1. Empathie mit Mitmenschen erzeugen, indem der Fokus auf Gemeinsamkeiten liegt.
  2. Selbstwirksamkeit stärken, indem man Menschen die Fähigkeit und den Willen zuspricht, ihre Mitmenschen zu unterstützen.
  3. Kooperation fördern und Gleichberechtigung hervorheben, indem man die Vorteile von Zusammenarbeit und Vielfalt den Nachteilen von Konkurrenz und Einfalt gegenüberstellt.

Die Menschen, die nach Deutschland kommen, sind mutig und entschlossen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Sie haben so viel riskiert, um hier her zu kommen und konservative Politik legt ihnen Steine in den Weg. Trotzdem geben sie nicht auf. Sie verdienen unseren höchsten Respekt und unsere Unterstützung.

Es gibt Millionen Menschen, die genau so über Migration denken. Sie suchen vergeblich nach einer Partei, die diese Gedanken ausspricht. Bis zur nächsten Wahl sollte es sie geben.

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