Europawahl-Desaster: Was Progressive jetzt tun müssen

Der Aufruf „gegen rechts“ zu wählen war für die Europawahl nicht erfolgreich. Vielleicht hat er sogar die Positionierung der AfD als „Anti-Establishment-Partei“ gestärkt. Klar ist: Rechte Parteien können nur dann punkten, wenn progressive Parteien nicht mehr überzeugen. Hier sind 7 Dinge, die progressive Parteien jetzt tun sollten.

1. Medien­auf­merk­sam­keit für sich nutzen

Wenn man sich eine Sache von AfD und CDU abschauen kann, dann ist es ihr Agenda Setting. In den Monaten vor der Europawahl fluteten sie den Diskurs mit Themen wie Migration und Bürgergeld. Dafür nutzten sie Momente der Aufmerksamkeit für Aussagen, die viral gingen. Zum Beispiel fiel Friedrich Merz regelmäßig mit kontroversen Aussagen auf, sei es über Paschas in der Schule oder Asylbewerbende, die Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen.

Solche Aussagen lösen in der Regel eine Empörungswelle in den sozialen Medien aus. Es folgen Zeitungsartikel und Faktenchecks. Selbst wenn die Aussage kritisiert und widerlegt wird: Sie wird vielfach verbreitet und wiederholt. Das darin konstruierte Bild hat es bei Millionen Menschen in die Köpfe geschafft.

Medien wiederholen und verstärken, egal ob neue, soziale oder klassische Medien. Konservative Parteien machen sich diesen Mechanismus zu Nutze. Sie setzen ihre Themen und verschieben die öffentliche Meinung in ihre Richtung. Progressive Parteien nutzen diesen Mechanismus kaum. Stattdessen entkräften sie, liefern Gegenargumente, empören sich oder beziehen Stellung. Aber sie setzen kaum eigene Themen.

Progressive müssen wieder in die Offensive gehen und ihre eigenen Themen in den Medien platzieren, damit sie verbreitet werden.

2. Rechtes Agenda Setting stoppen

Über den oben beschriebenen Mechanismus gelang es der AfD, Menschen ein Problem einzureden, das sie eigentlich nicht haben: Migration. Bereits seit 2015 pflanzt die AfD ihr Kernthema in die Köpfe der Menschen. Nicht nur die Medien halfen ihr dabei, sondern auch progressive Parteien und Politiker:innen: Sie nahmen Fernseheinladungen zum Thema Migration an, positionierten sich dazu auf ihren Social-Media-Kanälen und ernannten Migration als ihr Top-Thema – mit realen politischen Konsequenzen wie die EU-Asylreform.

Es wäre wünschenswert, wenn ARD, ZDF & Co. erst gar nicht das Agenda Setting der AfD mitmachen. Aber die meisten Medien scheinen möglichst alle Meinungen abbilden zu wollen, was dann auch AfD-Positionen mit einschließt oder Beiträge, die rechte Narrative verbreiten.

Progressive müssen deshalb rechte Narrative in all ihren Medienauftritten reframen oder Einladungen zu Talkshows über ein AfD-Thema gar nicht erst annehmen.

3. Von Meinungs­umfragen lösen

In Meinungsumfragen erscheint Migration immer wieder als Top-Thema, das Menschen in Deutschland beschäftigt. Nach monatelanger Beschallung durch die Medien sollte das niemanden wundern. Meinungsumfragen sind immer ein Spiegelbild des Diskurses und der Narrative in unserer Gesellschaft. Und genau so sollten sie auch gelesen werden.

Meinungen entstehen nicht im Vakuum, sondern werden durch den öffentlichen Diskurs erzeugt. Das konservative Agenda Setting und die Wiederholung ihrer Themen durch die Medien haben einen erheblichen Einfluss darauf, welche Ergebnisse bei Meinungsumfragen herauskommen. Parteien und Politiker:innen sollten Meinungsumfragen deshalb kritisch gegenüberstehen und genau analysieren, ob Stimmungsbilder durch Kampagnen erzeugt wurden oder auch ohne sie bestehen.

Progressive sollten sich vor allem damit beschäftigen, wie sie auf die Meinungsbildung einwirken statt wie sie auf eine nach rechts rückende Gesellschaft reagieren.

4. Über Lösungen statt Probleme sprechen

Es gibt zahlreiche drängende Themen und Sorgen, die viele Menschen täglich beschäftigen: steigende Preise, schlechte Arbeitsbedingungen, unzuverlässiger ÖPNV und explodierende Mieten. Das alles sind Themen, bei denen Progressive passende Lösungen haben, während sich konservative Parteien finanzielle Fesseln anlegen und die Probleme so weiter verschlimmern. Eigentlich ist progressive Politik klar im Vorteil.

Dennoch bleibt die Kommunikation von progressiver Seite häufig in der Problembeschreibung stecken. Die Annahme ist, dass Menschen zuerst ein Problem verstehen müssen, bevor man sie für eine Lösung gewinnen kann. Die Realität zeigt aber, dass progressive Kommunikation dann erfolgreich ist, wenn sie Lösungen in den Fokus nimmt.

Noch besser ist es, Menschen eine Handlungsoption anzubieten, mit der die Lösung Wirklichkeit wird (z.B. eine Wahl oder eine Unterschrift). Beispiele sind die erfolgreiche Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ oder der Verein „Mein Grundeinkommen“, der das bedingungslose Grundeinkommen verlost und erfahrbar macht.

Progressive müssen wieder ihre Lösungen in den Vordergrund stellen, statt über Probleme aufzuklären.

5. Begeistern statt abwehren

Wenn der Fokus auf der Lösung liegt, wird die Kommunikation auch automatisch positiv. Das progressive Gesellschaftsideal von Gleichberechtigung, Kooperation und Mitbestimmung ist eine viel größere Inspirationsquelle als das konservative Gesellschaftsideal von Hierarchie, Wettbewerb und Autorität. Dennoch wirkt konservative Kommunikation häufig optimistischer und motivierender. Und das liegt an der Sprache.

Konservative Parteien sind erfolgreich, weil sie über Freiheit, Sicherheit und Wohlstand sprechen. Grüne, SPD und Linke kommunizieren vor allem wie schlimm die Krisen sind, die wir gerade durchleben, wie komplex unsere Probleme sind und dass wir Menschen vor der Welt schützen müssen.

Konservative Kommuni­kation vermittelt Selbst­wirksamkeit. Progressive Kommuni­kation vermittelt Machtlosigkeit.

Auch Aussagen wie „Die Krisen bewältigen wir nur gemeinsam“ sind zwar optimistisch gemeint, versprechen aber keine Verbesserung, beinhalten keinen Weg zum Ziel und stellen den Erfolg infrage, sobald nur eine Person nicht mitmacht. Begeistern geht anders.

Progressive müssen wieder Zuversicht und Selbstwirksamkeit durch gemeinschaftliches Handeln als ihren „Markenkern“ nutzen und damit Menschen begeistern.

6. Kollektiv im eigenen Framing kommunizieren

Progressive Themen finden zwar immer wieder punktuell in der Berichterstattung statt, aber bei progressiven Parteien fehlt meistens ein strategisches und kollektives Vorgehen mit zentralen Narrativen, die von der Parteizentrale ausgehen und von ihr selbst sowie allen Abgeordneten verbreitet und ständig wiederholt werden.

Ein kurzer Lichtblick war in den vergangenen Monaten die Debatte um das Aussetzen der Schuldenbremse. Diese war aber nur eine Reaktion auf den knappen Bundeshaushalt und konnte das „Schulden sind schlecht“-Narrativ nicht überwinden.

Progressive sollten ein gutes Reframing sowie eigene Narrative parat haben, bevor sie gemeinsam ihre Forderungen stellen.

7. Einfach und bürger­nah kommunizieren

Konservativen wirft man einfache Lösungen vor, dabei ist deren Umsetzung alles andere als einfach. Meistens bieten sie keine einfachen Lösungen, sondern einfache Kommunikation. Sie trauen sich, ihre Sicht auf die Welt vereinfacht auszudrücken, verwenden dabei die Sprache der Bürger:innen und erreichen so Zustimmung.

Kommunikation von progressiver Seite ist hingegen häufig kompliziert, technokratisch und elitär formuliert. Sie bezieht sich auf Studienergebnisse, erklärt Zusammenhänge mit Fachbegriffen und erörtert zwischen verschiedenen Perspektiven. Das spiegelt wider, woraus politische Arbeit zu großen Teilen besteht.

Aber der Politikbetrieb muss nicht die Kommunikation vorgeben. Systemische Zusammenhänge lassen sich auch über persönliche Anekdoten und Erlebnisse überzeugend vermitteln, da sich Zuhörende in ihnen wiederfinden können.

Progressive Kommunikation muss zurück an den Stammtisch. Progressive sollten weniger komplexe Zusammenhänge darlegen und mehr darüber sprechen, was für sie gerecht ist. Denn das Gerechtigkeitsempfinden ist, was Menschen zum wählen bewegt.

Fazit

Wenn wir alle 7 Punkte in einem Satz zusammenfassen müssten, wäre es folgender: Sprecht nicht über die Positionen der Gegen­seite, sondern über eure eigenen.

Das klingt einfach, aber wir sehen immer wieder wie schwer es Progressiven fällt. Konservative Narrative dominieren schon so lange den Diskurs, dass viele progressive Narrative fehlen.

Progressive müssen ihre Narrative wieder entdecken oder neu entwickeln und sie aktiv in den Diskurs bringen. Wir unterstützen euch gerne dabei.

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