Analyse: Plakat-Kampagne 2023 der Berliner Linken
In Berlin werden im Februar die Wahlen auf Landes- und Bezirksebene wiederholt. Dementsprechend fahren nun auch die Berliner Parteien ihre Wahlwerbung hoch. Wir haben uns die Plakate der Partei DIE LINKE genauer angesehen und sind auf einige Kommunikationsfehler gestoßen.
Fehler 1: Konservative Narrative werden wiederholt und bestätigt
Auf dem größten Plakat der Berliner Linken steht der Spruch „Was der Markt nicht regelt, regeln wir. Gemeinsam.“ Die Linke wiederholt hiermit nicht nur das konservative Narrativ „der Markt regelt das“, sondern übernimmt auch die konservative Überzeugung, dass Politik erst eingreifen sollte, wenn der Markt nicht funktioniert. Mit der progressiven Idee eines handlungsfähigen Staates, der gestaltet, öffentliche Infrastruktur bereitstellt und langfristige Investitionen anstößt, hat das nichts zu tun.
Wir beobachten häufig, dass Progressive konservative Phrasen und Narrative wiederholen, insbesondere bei gesprochenen Redebeiträgen in Nachrichten, Talkshows und Podiumsdiskussionen. Dass jedoch eine progressive Partei einen konservativen Spruch auf ihr Plakat druckt, hat auch uns überrascht. Das zeigt einerseits, wie sehr konservative Phrasen und Narrative die Alltagssprache dominieren und andererseits, wie wenig das Wissen über politisches Framing in Parteien verbreitet ist. Progressive sind einmal mehr in die Framing-Falle getappt.
Warum ist das eine Falle? Bei jeder Wiederholung konservativer Sprüche werden entsprechende mentale Konzepte im Gehirn – sogenannte „Frames“ – aktiviert und gefestigt. Die Folge: Diese Konzepte stehen leichter zu Verfügung und werden unbewusst zur Grundlage für Denken und Handeln. Aus einem Narrativ wird Normalität und schließlich Realität. Konservative Narrative zu wiederholen bereitet letztlich den Weg für konservative Politik.
Dass die Linke einen konservativen Spruch auf ihr Plakat druckt, gleicht auch einer Verzweiflungstat: Aus Angst vor Stimmenverlust möchte sie vielleicht Menschen aus der Mitte erreichen, die davon überzeugt sind, dass der Markt die Dinge regelt. Konservative Überzeugungen abzudrucken erzeugt jedoch keine progressiven Mehrheiten. Im Gegenteil: Konservative Werte werden wiederholt und gestärkt, während progressive Werte nicht im Diskurs stattfinden. Die Linke unterstützt damit konservative Parteien statt sich selbst.
Was verneint wird, wird aktiviert
Auf einem weiteren Plakat betont die Linke, dass sie nicht an den Markt glaubt. Das Problem: Auch wenn ein Konzept verneint wird, wird es im Gehirn aktiviert. Das wäre auch der Fall, wenn die Linke geschrieben hätte „Wir glauben nicht an den Markt.“ Die Darstellung auf dem Plakat sorgt zusätzlich für eine positive Assoziation des Markt-Narrativs. Von Weitem erkennt man nur „Alle glauben an den Markt.“ Nur wer näher herantritt, wird die Verneinung lesen können.
Diese Herangehensweise deckt sich mit unseren Beobachtungen aus vergangenen Wahlkämpfen. Ein witziger Spruch, der Anklang bei einer kleinen Zielgruppe findet, wird höher priorisiert als die Kommunikation der eigenen Werte und Positionen. Aufmerksamkeit und Unterhaltung sind wichtiger als effektive und wissenschaftsbasierte Kommunikation.
Die Ironie ist, dass die Linke sich mit der Aussage „alle glauben“ als Randgruppen-Partei positioniert. Sie gibt damit den Anspruch auf, eine progressive Partei zu sein. Denn progressive Politik ist Politik für alle Menschen.
Fehler 2: Interpretationsspielraum statt progressiver Werte
Die Linke bezieht sich auf den Plakaten immer wieder auf „das Wesentliche“, lässt jedoch offen, was sie damit meint bzw. wofür man sie wählen sollte. So kann jede:r selbst interpretieren, was wesentlich ist. Dabei können auch konservative Werte, wie Individualismus, Leistungsdruck und Wettbewerb assoziiert werden. Eventuell ist das genau die Intention der Linken: Sie will anschlussfähig sein.
Das ist ein Irrtum. Progressive Werte nicht zu kommunizieren ist kontraproduktiv. Menschen können nur von progressiven Ideen überzeugt werden, wenn man diese in der Öffentlichkeit verbreitet und stärkt. Mehrheiten entstehen, indem man progressive Werte ständig wiederholt. Dazu trägt diese Kampagne der Linken nicht bei.
Eine weitere Erklärung: Die Linke weiß möglicherweise selbst nicht mehr, was für sie wesentlich ist. Wenn die Worte zum Ausdruck einer Idee fehlen, sprechen Linguist:innen von „Hypokognition“. Das Phänomen entspricht einer Abwärtsspirale. Fehlen der Linken die Worte, kann sie nicht über ihre Ideen sprechen. Spricht sie nicht über ihre Ideen, verkümmern sie und existieren irgendwann nicht mehr.
Fehler 3: Viele Probleme, wenig Lösungen
Nur zwei Plakate sagen aus, was die Linke in Berlin konkret verbessern möchte. Auf allen anderen Plakaten springen viele Probleme und wenig Lösungen ins Auge. Oder es werden einfach Worte aufgelistet, die keine Idee davon vermitteln, was die Linke tun möchte.
- „Niemanden im Kalten sitzen lassen.“
- „Vor Krieg und Verfolgung schützen!“
- „Wohnung Wärme Widerstand“
Hier greift erneut die Funktionsweise von Frames: Sobald man ein Wort hört oder liest, werden Frames über Schaltkreise im Gehirn aktiviert. Frames beinhalten Wissen, das aus der eigenen Erfahrung in der Welt abgespeichert wurde. Dieses Wissen wird unterbewusst mit dem gesagten Wort aktiviert.
Die oben gezeigten Plakate aktivieren demnach gespeichertes Wissen zu Kälte, Krieg und Verfolgung und bringen es mit der Linken in Verbindung. Unterbewusst ändert es nichts, dass die Linke sagt, dass niemand das erleben sollte oder sie davor schützen möchte. Es werden trotzdem Frames zu Kälte, Krieg und Verfolgung aktiviert.
Wie kann eine überzeugendere Kommunikation aussehen?
Progressive Perspektive aufzeigen
Es gibt für die Linke keinen Grund konservative Sprüche auf ihre Plakate zu drucken, diffus zu kommunizieren oder Probleme hervorzuheben. Gerade jetzt bieten der öffentliche Diskurs und die Stimmung in der Gesellschaft zahlreiche Möglichkeiten, sich als progressive Partei zu positionieren. Die Linke greift zwar aktuelle Sorgen rund um Krieg, Energiekrise und Wohnungsmarkt auf, drückt jedoch hauptsächlich ihre Ablehnung aus statt progressive Antworten zu geben.
Die Kampagne der Berliner Linken sollte systemische Ursachen aufzeigen, progressive Lösungen für aktuelle Probleme anbieten und sie mit ihren Werten verbinden. Dabei ist der Bezug auf Berliner Probleme wichtig, z.B. dass Mietende zusätzlich zu explodierenden Mietkosten jetzt auch noch mehr Geld an Energiekonzerne abgeben müssen.
Lösungen anbieten und klar benennen
In unserem Leitfaden erklären wir, warum es wichtig ist, Lösungen ins Zentrum der Kommunikation zu stellen und ohne Umwege zu kommunizieren. Erstens ergibt sich häufig keine weitere Chance, die eigenen Positionen und Ziele zu vermitteln. Gerade bei Plakaten hat man wenig Platz und wenig Aufmerksamkeit für die eigene Botschaft.
Zweitens entstehen durch die Kommunikation von Lösungen positive Assoziationen und Optimismus, die nicht nur besser zum progressiven Wertesystem passen, sondern auch motivieren eine Sache zu unterstützen – sei es durch Zustimmung, die Stimme bei einer Wahl, eine Spende oder die Parteimitgliedschaft.
Drittens setzen Alternativen zum Status Quo konservative Politik unter Druck. Den Status Quo nur zu kritisieren macht es der Gegenseite leicht, an der aktuellen Politik festzuhalten und sie zu rechtfertigen, weil keine Alternativen im Raum stehen.
Plakatflächen optimal nutzen
Plakate bieten der Linken die Möglichkeit direkt mit lokalen Wähler:innen zu kommunizieren, ohne dass ihre Botschaften von Gegner:innen und Medienhäusern gefiltert oder verfälscht werden. Gerade jetzt ist das eine wichtige Chance, weil die Linke kaum Aufmerksamkeit in den Massenmedien bekommt, und wenn dann eher negative.
Plakate erreichen außerdem auch diejenigen, die sich nicht für politische Debatten und Kommentare in Fernsehen und Zeitung interessieren. Denn Plakate hängen in Wohnsiedlungen, entlang von Straßen und an öffentlichen Plätzen, wo sie nicht zu übersehen sind. Plakatsprüche sollten daher konkret und prägnant sein sowie progressive Werte vermitteln.
Fazit: Ungenutzte Chance
Jede Wahl ist eine Chance, progressive Werte und Lösungen in den Diskurs zu bringen und sie zu stärken. Mit den aktuellen Plakaten nimmt die Linke diese Chance nicht wahr. Wir werden die Kampagnen der Berliner Parteien weiterhin beobachten und sind schon gespannt auf den 2. Januar, wenn wieder überall in Berlin Wahlplakate hängen werden.
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